Wie versuchen rechte Akteure, zentrale Erinnerungsorte der deutschen Demokratiegeschichte für ihre politischen Zwecke umzudeuten und zu vereinnahmen?
Wir zeigen, wie Geschichte gezielt umgeschrieben wird, um ein rechtes politisches narrativ zu stützen. Diese Versuche veranschaulichen wir anhand zweier Beispiele: Der Instrumentalisierung der Person Gustav Stresemann durch die AfD und die symbolische Nutzung des Hambacher Schlosses durch rechte Kräfte. Der Podcast beleuchtet konkrete Vorfälle, ordnet sie historisch ein und macht deutlich, warum der Kampf um Erinnerung auch immer ein Kampf um die Gegenwart ist.
Ein Podcast von Lea Göddel.
Shownotes:
Übersetzung der Aussagen von Professor Jonathan Wright:
(1:55) Stresemann war ein nationalliberaler Politiker vor dem Ersten Weltkrieg, welcher sich in der Zeit der Weimarer Republik zu einer Kraft der Integration entwickelte. In dieser Zeit war er Reichskanzler und Außenminister und war auch einer der führenden europäischen Staatsmänner.
(3:58) Ich denke es sind zwei Dinge (die Stresemann für die rechte Szene attraktiv machen). Einerseits verbrachte er einen großen Teil seiner Karriere in den 1920ern mit dem Versuch, Menschen aus dem rechten Spektrum zu überzeugen, dass sie sich seiner Politik anschließen sollten.
Was sie damals als deutsches Interesse betrachteten, konnte nur durch Frieden und Partnerschaft erreicht werden – auf keinem anderen Weg. Und Stresemann benutzte oft ihre Sprache. Er war Nationalist gewesen, im Ersten Weltkrieg ein Anhänger von Annexionen. Er verstand diese Leute, er wusste, wie sie dachten, und er war leidenschaftlich darum bemüht, sie für die Weimarer Republik zu gewinnen. Denn wenn es ihm gelänge, einen Teil von ihnen – insbesondere von der DNVP – herüberzuziehen, würde das die Weimarer Republik enorm stabilisieren. Und das ist ihm teilweise gelungen.
Er spaltete sie in der Debatte um den Dawes-Plan, die DNVP wurde darüber tief gespalten. Am Ende seiner Karriere kam es erneut zur Spaltung – diesmal über den Young-Plan. Aber es gelang ihm nie, einen größeren Teil der DNVP zum Übertritt zur DVP zu bewegen. Doch genau daran arbeitete er. Viele seiner Reden sind daher solche, mit denen sich heutige rechte Parteien, nationalistische Gruppen oder „Alternativen“ identifizieren können. Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt ist: Stresemann als Galionsfigur zu nutzen, könnte das Ansehen und die gesellschaftliche Anerkennung einer rechten Partei erhöhen. Eine rechtsextreme Partei braucht eben diese Anerkennung, wenn sie jemals eine Koalition bilden und in eine Regierung eintreten will. Die Möglichkeit, mit anderen Parteien zu koalieren, hängt entscheidend davon ab, ob sie sich als demokratische Kraft etablieren kann – und Stresemann bietet genau diese demokratische Referenz. Wenn man sich seinen Namen aneignen könnte, würde das dem Ansehen nutzen. Es sind nur bestimmte Gruppen innerhalb der AfD, aber ich denke, das ist möglicherweise Teil ihrer Motivation.
(6:15) Das ist kompliziert, weil wir hier fragen, wie sich Stresemann in einer völlig anderen Epoche verhalten hätte. Ich denke jedoch, dass diese Vorstellungen nicht miteinander vereinbar sind. Es gibt gute historische Gründe anzunehmen, dass sie nicht zusammenpassen.
Deshalb halte ich es für völlig falsch, wenn die AfD Stresemann als Figur für diesen Teil ihrer Politik beansprucht.
Links zu den Gesprächspartnern, ihren Stresemann-Publikationen und weiteren Quellen:
Prof. Jonathan Wright:
Website der Universität: https://www.chch.ox.ac.uk/people/professor-jonathan-wright
Jonathan Wright: Gustav Stresemann 1878-1929; Weimars größter Staatsmann, München 2006
Prof. Karl Heinrich Pohl:
Website der Universität:
Pohl, Karl Heinrich: Gustav Stresemann: Biografie eines Grenzgängers. Göttingen 2015
Dr. Volker Weiß:
Weiß, Volker: Das Deutsche Demokratische Reich: Wie die extreme Rechte Geschichte und Demokratie zerstört; Stuttgart 2025
Weiß, Volker: Die autoritäre Revolte: Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes; Stuttgart 2017
Einführungstext, paraphrasiert aus:
Langebach, Martin und Sturm, Michael (Hrsg): Erinnerungsorte der extremen Rechten (Edition Rechtsextremismus, Band 101); Wiesbaden 2015